Circular Talk mit Linda Grieder-Kern, Gründerin von RethinkResource
«Bei vielen Unternehmen liegt enormes Potenzial brach»
«Turning Waste into Opportunities»: Am Puls der Forschung und an der Schnittstelle verschiedener Industriezweige berät Linda Grieder-Kern mit ihrer Firma RethinkResource Unternehmen branchenübergreifend zum Thema Kreislaufwirtschaft – und bringt ihr Wissen nun auch als VR-Mitglied bei CLIMATEX ein. Im Circular Talk gibt sie spannende Einblicke.
CLIMATEX: Du hast RethinkResource 2016 gegründet. Wie bist du von der Rechtsberatung zur Kreislaufwirtschaft gekommen?
Linda Grieder-Kern: Schon während meines Studiums habe ich junge Unternehmen und Start-ups juristisch beraten, was meine Faszination für das Unternehmertum geweckt hat. Als ich dann vor etwa neun Jahren auf ein ambitioniertes Team stiess, das an einem Konzept zur Kreislaufwirtschaft arbeitete, habe ich mein Herzensthema gefunden. So bin ich in das Thema hineingerutscht.
Was trieb die Branche vor fast einer Dekade um?
Vieles drehte sich um klassisches Recycling und «Industrial Symbiosis», also wie verschiedene Produktionen miteinander verbunden werden können, um Ressourcen effizient zu nutzen. An zahlreichen Events stellte ich fest, dass ich stets auf die gleichen Akteure traf – Forschungsinstitute, Universitäten, Vereine und Stiftungen. Einzig Vertretende aus der Industrie waren kaum anzutreffen. Daraus entwickelte sich die Idee eines Konzepts für einen Marktplatz für sogenannte Nebenströme, die in industriellen Produktionen entstehen. Diese «Abfälle», also Waren aus Überproduktion, Restprodukte und Seitenströme, sollten als Rohstoffe gehandelt werden.
«Kreislaufwirtschaft hat nicht nur einen nachhaltigen Impact, sondern bringt auch wirtschaftlich sinnvolle Innovationen in Unternehmen.»
Linda Grieder-Kern
CEO & Founder RethinkResource
Kannst du das genauer erklären?
Ich habe schnell gemerkt, dass damals kaum jemand eine Ahnung hatte, was diese Nebenströme sind und welchen Wert sie haben könnten. Es fehlte an Transparenz, an einem offenen Markt und damit an Wettbewerb. Es war viel Arbeit, Unternehmen von dem Potenzial zu überzeugen, bis ich an einer Messe dem Geschäftsführer der Swissmill, einer Division von Coop, das Konzept vorstellte – und wir darauf für ein Beratungsmandat angefragt wurden.
Brachte das RethinkResource ins Rollen?
Ja, es folgten mehr Anfragen von Unternehmen, die wissen wollten, welches Potenzial sie in der Kreislaufwirtschaft haben und ob sie ihre eigenen Nebenströme verarbeiten könnten. So haben wir begonnen, Produktionen europaweit zu besuchen, Materialien zu analysieren und Verwertungsmöglichkeiten zu entwickeln. An der Kreislaufwirtschaft – und speziell am Verwerten von Nebenströmen – begeistert mich, dass es nicht nur einen nachhaltigen Impact, sondern immer auch wirtschaftlich sinnvolle Innovationen ins Unternehmen bringt. Man steigert die Effizienz, setzt neue Businessmodelle um, entwickelt neue Produkte. Ich bin jedoch erstaunt, dass viele Unternehmen das immer noch nicht sehen oder nicht mit diesem Thema in Verbindung bringen. Oftmals schrecken sie vor den Initialinvestitionen zurück, obwohl diese langfristig fast immer einen positiven wirtschaftlichen Effekt haben. Das ist ein Punkt, der mich nach wie vor überrascht. Bei vielen Firmen liegt enormes Potenzial brach – sei es aus Unwissenheit oder mangelndem Mut oder Fokus, solche Themen anzugehen. Ich hoffe, dass unter anderem politischer Druck und rechtliche Normen helfen, diese Themen in den nächsten Jahren auf die Agenda zu setzen und höher in der Unternehmensstrategie zu verankern. Hierbei können wir auch sehr gerne unterstützen.
Welche Herausforderungen entstehen, wenn Abfall als wertvoller Rohstoff betrachtet wird?
Unser Leitsatz lautet «Turning Waste into Opportunities». Allerdings mag ich das Wort «waste» eigentlich nicht, weil es impliziert, dass diese Materialien wertlos sind. Und genau in dieser Sichtweise liegt auch die grösste Herausforderung: Nebenprodukte und Abfälle sollten als wertvolle Rohstoffe betrachtet werden. Ist der Wert erst einmal erkannt, wird schnell klar, dass diese Materialien anders gelagert oder verarbeitet werden müssen, um den Wert zu erhalten. Daraus ergeben sich neue Geschäftsmodelle, Möglichkeiten zur Diversifizierung und Margenoptimierung sowie ein riesiges Innovationsfeld. Wichtig ist dabei, dass alle beteiligten Akteure in die neue Wertschöpfung einbezogen werden.
Wie geht ihr bei Anfragen vor?
Wenn wir bei Rohstoffen und Nebenströmen Potenzial feststellen, das aktuell nicht genutzt wird oder bisher keine hochwertige Anwendung dafür gefunden wurde, analysieren wir, welchen Wert diese Materialien haben. Bei Textilien schauen wir beispielsweise, ob sie sortenrein trennbar sind oder ob einzelne Wertstoffe herausgezogen werden können. Lebensmittel prüfen wir auf Nährwerte und mehr. Sobald wir einen inhärenten Wert identifiziert haben, suchen wir nach Anwendungen, die diesen bestmöglich nutzen. Dabei setzen wir auf industrieübergreifende Ansätze, Technologien oder Verarbeitungsmethoden.
Nennst du uns konkrete Beispiele?
Bei der Herstellung von Sojamilch entsteht beispielsweise ein Feststoff, der nach dem Pressen der Bohnen übrigbleibt. Für diesen schwer zu verarbeitenden, feuchten und nicht stabilen Stoff wollten wir eine sinnvolle Nutzung entwickeln. Das gelang uns mit Hilfe einer Technologie aus der Automobilindustrie. Wir konnten diesen Feststoff verflüssigen und wieder in die Milch integrieren, wodurch eine Milch entstand, bei der die Bohne komplett und ohne Abfall verarbeitet wurde. Ein weiteres spannendes Beispiel ist ein italienisches Unternehmen, das Garn aus Orangenschalen herstellt. Solche industrieübergreifenden Anwendungen sind meiner Meinung nach besonders interessant und zukunftsweisend.
«Im Grunde genommen sind wir eine Art kreativer Hub, der naturwissenschaftliches Wissen im Bereich Kreislaufwirtschaft einsetzt. Dabei braucht es einiges an Kreativität, um Verbindungen neu zu denken.»
Wie siehst du die Situation in der Textilindustrie?
In der Textilbranche interessiert mich in erster Linie die Weiterverarbeitung der recycelten Rohstoffe. Das grösste Hindernis bisher ist oft, dass die Materialien gemischt sind oder nur schlecht getrennt werden können. Das erschwert eine qualitativ hochwertige Weiterverarbeitung. An CLIMATEX fasziniert mich, dass die Technologien eine sortenreine Trennung ermöglichen, um die Weiterverarbeitung zu gewährleisten. Das ist entscheidend für unsere Arbeit, denn viele Ansätze, wie die Verwendung von recycelten Garnen, lösen das Problem am Ende des Lebenszyklus nicht. CLIMATEX und der Circular Design-Ansatz bieten hier zukunftsweisende Lösungen.
Wie unterscheidet sich der Fortschritt in der Textilindustrie von anderen Branchen wie Food oder Architektur- und Bauwesen?
Im Lebensmittelbereich ist das Thema Food Waste mittlerweile stark im Bewusstsein der Konsument:innen angekommen. Dadurch sind auch die Produzenten sensibilisiert. Ähnliches sehen wir im Verpackungs- und Bauwesen. Dort hat sich in den letzten Jahren viel getan, auch durch die verstärkte Thematisierung in der Ausbildung und in den Medien. In der Textilbranche sind wir allerdings noch nicht so weit. Das Thema Fast Fashion dominiert, viele wichtige Veränderungen passieren nur langsam und nachhaltiges oder zirkuläres Wissen ist auch bei jungen Designer:innen noch nicht so verbreitet wie in anderen Industriezweigen. Es braucht ein Netzwerk, in dem Recycler, Designer:innen und Produzenten zusammenarbeiten. Und man muss Liefernetzwerke aufbauen, Rücknahmesysteme einführen und mit Partner:innen und deren Kundschaft kommunizieren, um das Trennen und Wiederverwenden zu ermöglichen.
Wie erklärst du dir diesen Entwicklungsunterschied?
Die Wertschöpfungskette der Textilindustrie ist sehr komplex und global aufgestellt: Designer:innen, Produzenten, Zuliefernde und Verarbeitung sind über den ganzen Globus verteilt, was das Verfolgen gemeinsamer Ziele, die Rückverfolgbarkeit und das Recycling erschweren kann. Hinzu kommen Fragen wie: Wer ist letztlich für die Rücknahme der Materialien verantwortlich? Wie gestaltet sich die Wertschöpfungskette, der Business Case, um zurückgenommene Ware? Deshalb brauchen wir einen Best-Practice-Beispiele, die die Machbarkeit und den Business Case entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufzeigen. Ein solcher Case würde uns helfen zu verstehen, wo der Wert entsteht und wo er verloren geht. Daraus ergäbe sich ein klares Potenzial für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie.