Circular Talks by CLIMATEX with Stephen Copp von Around Systems
«Es geht um mehr als um Recycling – es geht um, eine systematische, skalierbare Lösung für den gesamten Lebenszyklus von Textilprodukten.»
CLIMATEX: Mit welchen Herausforderungen sehen sich Unternehmen konfrontiert, wenn sie Recyclingprojekte in Angriff nehmen wollen?
Stephen Copp: Das Hauptproblem besteht darin, dass viele Unternehmen nicht vollständig auf den Umfang, die Tragweite und die Komplexität des Themas vorbereitet sind. Sobald sie erkennen, wie viel Aufwand und Ressourcen erforderlich sind, kann das Thema Recycling ziemlich überwältigend werden.
Around Systems konzentriert sich auf Lifecycle Management. Auf eurer Website vergleicht ihr das Recycling von Textilien mit dem von Aluminium und Plastik. Erklärst du uns den Zusammenhang?
Es geht um mehr als um Recycling – es geht um, eine systematische, skalierbare Lösung für den gesamten Lebenszyklus von Textilprodukten. Unser Ziel ist es, die Effizienz von Recyclingtechnologien aufzuzeigen. Dazu nehmen wir uns die schwedische Aluminiumindustrie zum Vorbild, die seit vielen Jahren ein geschlossenes Kreislaufsystem betreibt. Der Einsatz von Barcode-Technologie stellt sicher, dass das Material richtig identifiziert und effizient recycelt wird. Auf diese Weise wird eine beeindruckende Recyclingquote von 80 Prozent erreicht.
In der Kunststoffindustrie gibt es, ähnlich wie in der Textilindustrie, sehr wenig Kontrolle und die Sortiersysteme sind nicht in der Lage, gemischte Kunststoffe effizient zu verarbeiten, so dass ein grosser Teil verbrannt wird. Obwohl Kleidung und Textilien komplexer sind als Aluminium, ist die zugrunde liegende Philosophie die gleiche. Deshalb bin ich überzeugt, dass ein systematischer Ansatz auch auf Textilien angewendet werden kann.
Wie bist du zu dieser Überzeugung gekommen?
Ich habe vor einigen Jahren an einem Militärprojekt gearbeiten und gesehen, wie die gleichen Uniformen von 200'000 Soldaten mangels Recyclingmöglichkeiten verbrannt wurden. Das Uniformsystem wäre eine gute Gelegenheit, Textilien systematisch zu recyceln. Leider waren die Behörden damals nicht daran interessiert, diese Idee weiter zu verfolgen.
Du bist trotz Gegenwind drangeblieben…
Der Anblick der riesigen Abfallmengen und die Erkenntnis, dass ein systematischer Ansatz möglich ist, haben mich motiviert. Ich begann, nach Möglichkeiten zu suchen, Mischmaterialien in Funktionskleidung zu verarbeiten, denn chemisches Recycling ist nur bei Monomaterialien oder Polyester-Baumwoll-Mischungen möglich. Bei meinen Recherchen stiess ich 2021auf CLIMATEX und war fasziniert von der Idee, zwei Garne mit einem dritten, zerstörbaren Garn, zu kombinieren. Ich kontaktierte Fredy Baumeler und gemeinsam entwickelten wir ein Workwear-Gewebe für einen Proof of Concept, um das Disassembly in grossem Massstab zu testen. Ziel war es, potenziellen Kunden zu zeigen, dass es sich nicht um einen manuellen Prozess handelt, sondern um etwas, das industrialisiert, skaliert und automatisiert werden kann. Nur mit Druck, hoher Temperatur und Wasser und ohne spezielle Recyclinganlage.
Neben dem Workwear-Gewebe ist auch STITCHLOCK, unser sich auflösendes Garn, ein Ergebnis eurer Forschung…
Genau. STITCHLOCK ist ein EOL-zerstörbares Garn, das sich bei hoher Temperatur, Druck und Wasser auflöst und eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Design-for-Disassembly-Ansatz ist. Es unterstützt die Kreativität von Designer:innen, indem es die einfache Zerlegung von Kleidungsstücken ermöglicht.
Woran arbeitest du mit Around Systems zurzeit?
Wir wollen Zirkularität in grossem Massstab Realität werden zu lassen und die Demontagezeit von Kleidungsstücken auf nur zehn Sekunden reduzieren. Dazu braucht es Materialienkombinationen, die sich einfach und effizient zerlegen und recyceln lassen. Unser Fokus ist es, Designer:innen und Produktentwickelnden die Entscheidungsfindung bei der Materialkomposition zu erleichtern, ohne dass sie dafür tiefgreifende technische Kenntnisse benötigen.
Das ist ambitioniert. Wie können wir uns das vorstellen?
Wir möchten, dass Produktentwickelnde nicht jedes technische Detail kennen müssen, sondern fundierte Entscheidungen innerhalb eines geführten Systems treffen können. Dieses stellt sicher, dass bestimmte Kriterien erfüllt werden und das Produktdesign recyclinggerecht optimiert ist. Das ist anspruchsvoll, aber notwendig, wenn wir hohe Recyclingquoten erreichen wollen.
Der Schlüssel zur Verbesserung der Recyclingeffizienz liegt also darin, die Zusammensetzung aller in Kleidungsstücken und fertigen Textilprodukten verwendeten Materialien besser zu verstehen?
Ja, denn wenn wir wissen, was sich in und auf dem Textil befindet, können wir besser vorhersagen, wie es sich beim Recycling verhält. Wir arbeiten daran, Veredler mit Recyclingtechnologien zu verbinden, um sicherzustellen, dass selbst bei einem T-Shirt aus Polyester oder Polyamid die auf dem Textil verwendeten Chemikalien den Recyclingprozess nicht stören. Es geht nicht nur um die Materialien, sondern auch um die Kenntnis der zusätzlichen Applikationen und Chemikalien auf den Textilien. Vielen Marken, vor allem den kleineren und mittelständischen, fehlt dieses Wissen.
Wie können diese Veränderungen umgesetzt werden?
Die Industrie braucht eine komplette Umstellung in der Produktion, einen Neustart. Wir müssen Textilien herstellen, die EOL Recycling ermöglichen. Wenn die Qualität und Kompatibilität der Materialien nicht garantiert werden kann, führt dies zu Ineffizienzen, Betriebsausfällen und kann ganze Anlagen ruinieren. Der langsame Fortschritt ist u.a. auf die komplizierte Natur der Skalierung von Recyclingtechnologien sowie auf die Notwendigkeit einer präzisen Inputkontrolle zurückzuführen, um eine gleichbleibende Qualität des Outputs zu gewährleisten.
Es wird immer deutlicher, warum der Fortschritt in diesem Bereich so langsam ist…
Die Recyclingtechnologien sind vorhanden und könnten in grossem Massstab eingesetzt werden. Die grösste Herausforderung besteht jedoch darin, eine konstante Versorgung dieser Anlagen mit qualitativ hochwertigem Ausgangsmaterial sicherzustellen. Anstatt den Bau von Chemieanlagen zu überstürzen, sollten wir uns zunächst auf die Sicherung zuverlässiger Rohstoffe konzentrieren. Deshalb müssen die Recyler eng mit grossen Marken zusammenarbeiten und klar kommunizieren, welche spezifischen Farbstoffe und Veredelungen sie verarbeiten können.
Die Recycler sollten also Marken bei der Materialwahl beraten und anleiten?
Genau. Die Recycler müssen darüber informieren, welche Materialien und -kombinationen verwendet werden können – und welche nicht. Dazu gehört auch die Kennzeichnung von Produkten für bestimmte Recyclingtechnologien und eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von der Produktion bis zum Recycling. Ein Produktpass kann hier eine grosse Hilfe sein.
Was enthält ein solcher Produktpass?
Der endgültige Inhalt ist noch nicht gesetzlich festgelegt, wird aber Aspekte der Rückverfolgbarkeit, der Reparatur, des Wiederverkaufs und des Recyclings des Produkts umfassen. Bei einer Sportjacke aus Polyester geht man derzeit davon aus, dass sie recycelt werden kann. Ohne Rückverfolgbarkeit der Materialien und einem klaren Recyclingplan ist dies jedoch nur ein frommer Wunsch. Der Produktpass würde sicherstellen, dass jeder Bestandteil der Jacke dokumentiert ist und EOL angemessen behandelt werden kann.
Welche Schritte muss die Industrie unternehmen, um ein solches System einzuführen?
Die Industrie braucht koordinierte und klare Richtlinien, um Rückverfolgbarkeitssysteme einzuführen. Dies erfordert die Zusammenarbeit zwischen Recyclern, Marken und Aufsichtsbehörden. Der Schlüssel liegt in der Herstellung recyclingfähiger Textilien, bei denen jeder Schritt – von der Produktion bis zur Entsorgung – in Bezug auf Material, chemische Behandlung, Effizienz und Nachhaltigkeit dokumentiert wird. An einem solchen System, der «Circular Engine», arbeiten wir.
Das klingt spannend! Für wen ist die «Circular Engine» konzipiert und was kann sie?
Wir bieten Marken, Product Managern und Designer:innen eine zirkuläre Designplattform, die sie bei Materialwahl, Veredelungen und passenden Recyclingmethoden unterstützt. Die «Circular Engine» bietet strukturierte Vorlagen und Richtlinien, um recycelbare Materialien einzubinden und EOL ein einfaches Disassembly zu ermöglichen. So wird nachhaltiges Denken im Designprozess gefördert, Abfall reduziert und neue Einnahmequellen erschlossen. Konflikte in Bezug auf Nachhaltigkeitsentscheidungen werden markiert und Alternativen geboten. Anschliessend wird alles direkt in gängige Design-Programme übertragen.
Eine der grössten Herausforderungen ist dabei die Umschulung von Designer:innen, die sich bisher oft nicht mit EOL-Überlegungen beschäftigt haben. Viele wurden darauf trainiert, Ästhetik und Funktionalität in den Vordergrund zu stellen, ohne die Auswirkungen auf das Material zu berücksichtigen. Wir gehen dieses Problem an, indem wir komplexe Nachhaltigkeitskonzepte in der «Circular Engine» in umsetzbare Schritte zerlegen.
Was rätst du Unternehmen, welche die Zirkularität vorantreiben wollen?
Ich empfehle ihnen dringend, systematisch vorzugehen und über die einfache Materialauswahl hinaus auch die Heraus- und Anforderungen an das Disassembly zu berücksichtigen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Prozessen – oder der Zusammenarbeit mit uns – können Marken die komplexen Zusammenhänge besser bewältigen.
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